Auf dem Wege zu zwei Jubiläen (1991 und 1997)

1986 habe ich mich auf die freigewordene Pfarrstelle in Großenheidorn beworben, - und in demselben Jahr erschien ein Reprint, ein Wiederabdruck der „Heimatkunde des Fürstentums Schaumburg-Lippe – für Schule und Haus“, die W. Wiegmann 1905 verfaßt hatte.

Ich blätterte darin und fand z.B. auf S. 60 folgenden Text:

„Etwa 2 km ö von Steinhude liegt G r o ß e n h e i d o r n , das größte Dorf unseres Landes (682 ha). Die alten Höfe ziehen sich (wie in Altenhagen) an einer Hauptstraße hin, durch Wiesen vom Meere getrennt. Diese Anlage gleicht den neueren Siedelungen (sic!) (in den Hagendörfern) in der Umgegend von Stadthagen. Trotzdem ist der Ort uralt, da sich in der gleich hinter den Höfen hinziehenden, jetzt fast ganz abgetragenen Hügelkette Urnen mit Leichenbrandinhalt gefunden haben.

Großenh. wird urkundlich zuerst 1247 genannt (1645 wie Hagenburg und Steinhude als „Flecken“ Heyndore).
Die Kapelle trägt die Jahreszahl 1691, doch sollen einige Bauteile ins 15. Jahrhundert zurückreichen. Das Dorf war bisher nach Steinhude eingepfarrt. Heute ist es eine selbständige Kirchengemeinde, in der bereits seit Ende April 1899 ein Pastor wirkt.“

Also: Ich wußte: 1997 kommt das 750-jährige Dorfjubiläum auf uns zu (die Zahl 1691 für die Kirche hatte ich irgendwie überlesen...). - - -

Und so habe ich sehr bald überlegt, was da zu tun wäre, - und außerdem wußte ich auch: „Tempus fugit“ = „Die Zeit saust dahin“, - - und das Jubiläum kommt schneller, als man denkt.

Und so lud ich die damalige Ortsbürgermeisterin Helga Bode, den Kirchenvorsteher Wilhelm Gümmer, den sehr an der Dorfgeschichte interessierten Landwirt Friedrich Meyer-Buck und noch andere ein, um gemeinsam erste Überlegungen über das Kommende anzustellen.

Sehr bald kam auch Hans Schettlinger dazu.

Wir wandten uns an Heinrich Munk aus Probsthagen, der schon einige Dorfchroniken verfaßt hatte und baten ihn, uns beim Erstellen einer Festschrift zu diesem Jubiläumsanlaß zu helfen.

Bei seinen Forschungen in den alten Kapellenrechnungsbüchern fiehlen ihm Schriftstücke in die Hände, aus denen die Geschehnisse um den Erweiterungsbau der Großenheidorner Kapelle im Jahre 1691 hervorgingen. Außerdem fand er heraus, daß der 21. Dezember in jedem Jahr in Großenheidorn ein ganz besonderer Tag war (u. a. wurde die Pacht für das Kapellenland von den Bauern bezahlt, der Küster bekam seine Auslagen für die Abendmahlsfeiern des Jahres erstattet usw.).

Im Heiligenkalender der katholischen Kirche ist das der Tag des „ungläubigen“ Jüngers Thomas, - - und daraus folgte, daß die alte Kapelle in vorreformatorischer Zeit (in Schaumburg-Lippe wurde die Reformation 1559 durch Graf Otto IV. eingeführt) eine „Thomas-Kapelle“ gewesen sein muß.

Und so kamen wir in diesem Arbeitskreis auf die Idee, die Landeskirche zu bitten, der Kirche ihren alten Namen zurückzugeben. Außerdem könnte man das dann mit einem „Kirchweihfest“ verbinden und aus dem vielleicht eine „neue“ Tradition machen, - wie es dann ja auch geschehen ist.

Am 13., 14. und 15.9.1991 fand dann das erste „Kirchweihfest“ statt.

Auf der Rechnung von Schlachter Henry Schweer stand u.a.:

200 Portionen Erbsensuppe, 1120 Bratwürste, 25 Stangen Kaviarbrote, 1 Eimer Senf 1 ½ Sack Holzkohle 1000 Stück Bratwurstpappen.

Mit einiger Verspätung kam dann – wegen des schweren Herzinfarktes von Heinrich Munk – das kleine Buch = Festschrift „300 Jahte St. Thomas zu Großenheidorn – 1691-1992“ heraus.

Ich legte auf das St. Thomas wert, weil es deutlich machen sollte, daß wir den Namen der Kirche nicht neu „erfunden“ haben, wie es z.B. die Steinhuder mit ihrer „Petruskirche“ gemacht haben, die ja – wie sich erst später herausstellte – eigentlich eine „Marienkirche“ war, sondern daß wir den alten Namen aus katholischen, - aus vorreformatorischen Zeiten wieder aus der Vergessenheit hervorgeholt haben.

Bei etwa einem Drittel der evangelischen Kirchen, die älter sind als die Reformation, ist der ursprüngliche Name vergessen und verdrängt worden, weil die Evangelischen eben nicht an die „Heiligen“, die jeweiligen Patrone und Namensgeber der Kirchen glaubten und weil somit alles „Katholische“ vergessen und verdrängt werden mußte.

 

Wunstorf, den 11.11.2020

Wilhelm Thürnau

 

Bild (H.Schettlinger): Kapelle um 1920. Der Eingang ist seitlich, der Innenraum der Kirche wurde mit einem
„Bullerofen“ beheizt 
(langer Schornstein). Der Anbau der Sakristei kam erst später hinzu.